Eisenbahnerwohnhaus Thurnau
Schön, verlassen und eingewachsen - das Eisenbahnerwohnhaus des "Thurnauer Bockela"
Als letztes bauliches Zeugnis des Thurnauer Bahnhofes steht heute eingewachsen am Rande eines EDEKA-Parkplatzes das einstige Eisenbahnerwohnhaus. Das Baudenkmal müsste vor/um das Jahr 1908 gebaut worden sein. Damals verwirklichte man die lange geplante und endlich mit großer Mühe gebaute Lokalbahn Bayreuth-Thurnau-Kulmbach, im Landkreis Kulmbach kurz das "Thurnauer Bockela" genannt. Der Eisenbahnhistoriker Robert Zintl berichtet in seinem 1986 erschienenen Buch "Das Thurnauer Bockela": "Vom Staat gebaut wurde in Thurnau ein ganzer Komplex, bestehend aus dem Bahnhofsgebäude, der Güterhalle, dem Abortgebäude mit Stationsbrunnen davor, dem schmucken Eisenbahnerwohnhaus mit 4 Wohnungen und Holzlege und dem mächtigen Maschinenhaus."
Nach langem Siechtum kam zu Beginn der 1980er Jahre das Ende für die Bahnstrecke, stückweise wurden Abschnitte stillgelegt. Robert Zintl schreibt in seinem Buch unter Punkt 13.3 -das traurige Ende des Thurnauer Bahnhofes- (Zitat): "Ab 1. Januar gibt es in Thurnau keine Stationsbediensteten mehr, der Bahnhof ist unbesetzt. Das schöne Eisenbahnerwohnhaus und das große Maschinenhaus samt Wohnung sind längst verkauft." Am 17.12.1985 wird - im Buch mit Bildbeispiel belegt- das Bahnhofsgebäude abgebrochen. Über den Eigentümer des Wohnhauses und über die weitere Nutzungs- und Baugeschichte ist dato nicht bekannt.
Das Bauwerk ist der Reformarchitektur zuzuordnen, der Baustil orientiert sich in aufgeräumter Weise an Vorbildern der Klassik und des Barock. Das Gebäude wirkt massig, jedoch nicht plump. Den Charakter bestimmt das mit Biberschwanzziegeln gedeckte Mansarddach mit Halbwalm (Krüppelwalm). Die nach Norden auf einen kleinen Park mit altem Baumbestand weisende Seite mit dem Eingangsportal ist mit fünf Dreiergruppen kleiner Fenster interessant gestaltet. Über der Eingangstür bringt ein großes Oberlicht Helligkeit in die Diele. Die übrigen Fenster im Haus sind bzw. waren klassische Sprossenfenster, passend zum Stil der Architektur. Zur Seite des ehemaligen Bahnhofes hin bietet das Gebäude mit Mittelrisalit und klassisch geschlossenem Giebeldreieck mit ovalem Rundfenster darin einen recht herrschaftlichen Anblick (heute fast verdeckt).
Nachdem das eigentliche Bahnhofsgebäude in Thurnau ein simpler, eingeschossiger Barackenbau war, fiel die Rolle der Repräsentation, damit des Selbstverständnisses der Lokalbahnbetreiber, hier architektonisch dem auffälligen Wohnhaus der Eisenbahner zu. Auf den ersten Blick vermeint man ein kleines Herrenhaus im Kleinformat zu erblicken. Mit "schmuck und schön" hat der Historiker Robert Zintl das Baudenkmal in jedem Fall richtig beschrieben, auch wenn Vegetation und Vernachlässigung diese Eigenschaften heute manchem Betrachter wohl verbergen. Die "Verhunzungen" des Baudenkmals halten sich in Grenzen. Soweit von außen zu beurteilen, ist es weitestgehend im Originalzustand konserviert. Zwei kleine Fledermausgauben in beiden Halbwalmflächen wurden durch kleine Fenster in den Dachflächen ersetzt, die Sprossenfenster wurden entfernt, an den Giebelseiten hier auch die Fensterläden, an der Vorderfront (siehe Bilddatei) sind sie noch vorhanden. An der rückwärtigen Giebelseite wurde eine Garage ans Gebäude angesetzt, ein Fenster zur Tür gemacht, um das Dach der recht unansehnlichen Garage betreten zu können.
Denkmaleigenschaften sind wohl dennoch gegeben, das Baudenkmal wäre im Zuge einer Sanierung ohne größere Probleme wieder in den Originalzustand zu versetzen. Das Bauwerk ist von unbestreitbar hoher Qualität was Entwurf und Ausführung anbelangt. Als Beispiel der Reformarchitektur zum gerade überwundenen Historismus der Kaiserzeit im Rahmen einer eröffneten Lokalbahn ist es zudem ein selten gewordenes Beispiel der damals modernsten Auffassung von traditioneller Architektur, bedeutend daher nicht nur lokal. Als letztes verbliebenes Bauwerk des Thurnauer Bahnhofes wäre Erhalt mit Sanierung und Nutzung freilich auch im Interesse der Stadt Thurnau - so sich das Geschichtsbewusstsein nicht nur auf Schloss und innere Stadt beschränkt, sondern auch die Zeugnisse das Industriezeitalters und hier des "Thurnauer Bockela" mit einschließt.
Eisenbahnerwohnhaus Thurnau - Fotos
Gefährdung
Das Baudenkmal scheint seit einigen Jahren bereits unbewohnt, die Vegetation wächst das Gebäude langsam ein. Obwohl noch in gutem Zustand ist eine baldige Sanierung unumgänglich. Es braucht hier nicht mehr viel - ein kleines Loch im Dach durch einen Sturmschaden, ein zerbrochenes Fenster - und der ernste Verfall beginnt mit der gleichen Sicherheit wie dann die ersten Wortmeldungen kulturloser Zeitgenossen aufkommen, die ein Verschwinden des Schandfleckes fordern.
Auf eine Anfrage hin schrieb der Thurnauer Bürgermeister Martin Bernreuther dem Autor dieser Zeilen im Sommer 2023:
"Der Markt Thurnau ist grundsätzlich an einem Erwerb interessiert, sofern die Eigentümer diesem eben zustimmen würden... Den Bereich entlang der innerörtlichen Staatsstraße (Kasendorfer/Berndorferstraße) hat der Markt Thurnau im Jahr 2014 als „Nahversorgungsbereich“ deklariert, mit dem Ziel den Einzelhandel im Ort zu halten und diesen nicht wie in den meisten anderen Kommunen in die Außenbereiche zu verlieren. Der Vorteil liegt auf der Hand: fußläufige Erreichbarkeit, Belebung des Innenortes, Einbindung der älteren Generation etc… Das Bahnhofsgebäude könnte – sollte es jemals zum Verkauf stehen – sicher entsprechend mit eingebunden werden. Ich bitte allerdings um Verständnis, dass exakte Verwendungen erst dann besprochen werden können, wenn das Gebäude tatsächlich verfügbar ist." (Zitat Ende)
Weiter berichtete Herr Bernreuther, dass die Eigentümer des Gebäudes offenbar in Frankreich wohnen und es ihm trotz einiger Mühe bisher nicht gelungen sei, zu diesen Kontakt aufzunehmen. So muss man hier leider zur Kenntnis nehmen, dass einer jener Fälle vorliegt, in denen Eigentümer - aus welchem Grund auch immer - umständehalber entweder kein Interesse mehr an ihrem Eigentum haben, unklare Besitzverhältnisse, Überforderung oder schlichte Unkenntnis des eigenen Besitzes ein wertiges Baudenkmal verwaist stehen lassen.
Hier könnte eine Anerkennung von Denkmaleigenschaften dem Baudenkmal tatsächlich helfen. Denn mit diesem Status verbunden ist die Möglichkeit der zuständigen Behörden, Erhaltungsmaßnahmen rechtlich abgesichert aus eigener Initiative zu veranlassen bzw. selbst vornehmen zu lassen. Sogar eine Enteignung ist rechtlich möglich, um den Erhalt eines Denkmals zu sichern - wenn so auch in Bayern leider noch nie praktiziert.
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