Sankt-Ambrosius-Kirche Memmingerberg
Bischof Stimpfle 1967: „So wollen wir sein" - ungewisses Schicksal eines hochwertigen Gotteshauses
Die katholische Kirche St. Ambrosius in Memmingerberg (Pfarreiengemeinschaft Benningen, Bistum Augsburg) ist eine typische Kirche der 1960 Jahre. Sie steht für eine Epoche, die auf der Suche war, nach neuer Gestaltung und nach neuen Formen des Miteinanders. Seit Herbst 2021 wurde ihr Abriss diskutiert, im September und Oktober 2022 verschärft. Nun soll noch einmal über eine zukünftige Nutzung nachgedacht werden.
Größe, Lage und historischer Hintergrund
Weit ausholend im Raum, mit einem getrennt stehenden Kirchturm, zurückhaltend in der Formsprache und sichtlich mit Betonelementen errichtet: es ist eine moderne Kirche, die da erhöht und nahe des Flughafens (früherer Fliegerhorst) über Memmingerberg wacht. Zusammen mit einem kleinen Weiher und einem historischen Fruchtkasten, auf den sie gestalterisch Bezug nimmt, begründet sie einen ruhigen, fast geschützt anmutenden öffentlichen Raum.
1964 wurde am 28. September ihr Grundstein gelegt. Das Kirchengebäude wurde zeitgemäß als Hallenkirche mit Satteldach errichtet. Ihre stattlichen Maße: 36 Meter Länge, 28 Meter Breite, 12 Meter Höhe.
Das Bevölkerungswachstum auf rund 2.700 Einwohner bis 1961 (1925: rund 500 Einwohner, 1939: 2.000, vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik, Gemeinde Memmingerberg 09 778 171) einschließlich zahlreicher Bediensteter des Fliegerhorsts sorgten in den 1950er und 1960er Jahren für einen zusätzlichen Bedarf an einem großzügigen katholischen Kirchenraum. Insofern spiegelt die Größe der Ambrosius-Kirche und ihre zeittypische Bauart auch eine wesentliche Entwicklung der Geschichte Bayerns, der Kirchengeschichte der Nachkriegszeit und des Dorfs Memmingerberg.
Ursprüngliche bauliche Gestalt
Der große, in Nord-Süd-Achse ausgerichtete Hauptraum ist als Stahlbetonskelett mit Ausmauerung errichtet. Bereits bald nach der Baufertigstellung war ein senkrechter Riss in der westlichen Außenwand aufgetreten, der nicht saniert wurde, da er statisch als nicht-relevant eingeschätzt wurde und saniert werden kann.
Über einen mittig gelegenen Eingang im Norden betritt der Besucher eine weite Halle, die nur durch eine kurze Orgelempore beschnitten ist. Der gegenüberliegende Altarraum ist lediglich mit einer Stufe und ohne Lettner vom Volk abgegrenzt. Er wird von hohen, schmalen Ostfenstern erhellt. Das schlicht-hölzerne Kirchengestühl ist um den zentralen Taufstein regelmäßig geviertelt.
Es schließt sich ein niedrigeres Seitenschiff mit geschnitzter Marienstatue und Kapelle an, ebenso ein verglaster Durchgang zum Glockenturm. Dieser selbst ist einflugschneisenkompatible 28,5 Meter hoch, hat ein achteckiges kupfernes Zeltdach mit Kreuzspitze und in der nach allen Seiten geöffneten Glockenstube drei Glocken aus Zinnbronze (gegossen 2. Juli 1965).
In der ursprünglichen Baufassung war der Glockenturm baulich abgesetzter als er heute erscheint. Im Zuge einer Umgestaltung der Nordfassade (siehe unten) wurde auch der verglaste Übergang zum freistehenden Glockenturm verändert und überbaut.
Ausstattung der Kirche
Die Ausstattung der Kirche ist durchweg im Stil der 1960er Jahre gehalten und bildet ein künstlerisch wertvolles Ensemble. Der im benachbarten Günztal ansässige Künstler Erich Schickling (Ottobeuren-Eggisried) schuf ein hochwertiges Altarkreuz, das den Raum bis heute prägt (siehe unten).
Zugehörig sind zur Ausstattung etwa der aus einem Block geschnittene Altar (ein „Opferstein"), ein runder Taufstein der Memmingerberger Künstlerin Frieda Prutscher, eine 3,30m hohe Sakramentensäule (Hermann Schilcher, München), eine hölzerne Schutzmantelmadonna (Erwin Reyländer, Memmingerberg). Weitere vom ausführenden Architekten Kling entworfene Sakral- und Funktionselemente (die von der evangelischen Gemeinde Memmingerbergs 1967 gestifteten Apostelkreuze und -leuchter, das Portalgitter zur Taufkapelle, die Beichtstühle, das Kirchengestühl) fügen sich ein in den "lichte[n], frohstimmende[n] Kirchenraum“.
Auf der kurz gehaltenen Empore befindet sich eine schlicht-detailreich gestaltete, schlanke Orgel, die 1971 gebaut wurde. Es handelt sich um eine mechanische Schleifladenorgel mit 2 Manualen und Pedal, 18 Registern und 1128 Pfeifen. Gebaut wurde sie von Gerhard Schmid, Kaufbeuren.
Der Geist, der diese Kirche in Gestaltung und Bau geprägt hat, findet sich beispielhaft in der kleinen Gute-Hirte-Glocke der drei Kirchenglocken: Sie ist dem auf Einheit, Erneuerung und Frieden bedachten Papst Johannes XXIII. und seinem II. Vatikanischen Konzil gewidmet. Die Glocken im Einzelnen: Gute-Hirte-Glocke in as', 480 kg; Marienglocke in es' (1150 kg), St.-Michael-Glocke in ges', 720 kg.
(Zitat Kirchenführer Verlag Oefele 1967, S. 6, alle weiteren Zitate zu Baudetails sind ebenso dem Kirchenführer von 1967 entnommen).
Bauliche Veränderungen in den 1990er-Jahren
In den 90er-Jahren wurde der Eingangsfassade ein Vorbau mit fächerförmigen Strukturen hinzugefügt, der die ursprüngliche, konsequente Eingangsarchitektur mit ihren schmalen Vertikalelementen verdeckt und den natürlichen Lichteinfall des Innenraums beeinträchtigt. Anstelle der Taufkapelle mit Glasfenstern wurde eine Alltagskapelle eingebracht. Die Glasfenster von Erich Schickling in der Taufkapelle wurden dafür entfernt. Der gläserne Verbindungsgang zwischen Taufkapelle und Turm wurde durch die Verlängerung der Dachschräge überbaut.
Hauptkirche Innenraum
Vollständig erhalten in seiner ursprünglichen Architektur der 1960er-Jahre ist das große Kirchenschiff. Das Kreuz des Künstlers Erich Schickling (1924-2012), das unverändert im Altarraum schwebend an der Wand hängt, zieht von weitem die Blicke auf sich und fügt sich wie selbstverständlich in die klaren Proportionen der Architektur ein.
Die vier gleichschenkligen, jeweils 6m ausgreifenden Kreuzbalken erinnern in seiner griechischen Form an ein kosmisches Kreuz. Von weitem beim Eintritt in den Kirchenraum wirkt es durch seine wechselnden Reflexe des Materials eher abstrakt. Beim Nähertreten zeigen sich die 8 farbigen Bildtafeln in Hinterglasmalerei und Mosaiktechnik mit Themen aus der Heilsgeschichte im Alten und Neuen Testament. Im Zentrum des Kreuzes steht das „Himmlische Jerusalem“. „Mit bildlichen Mitteln unausdrückbar, weil sie den gegenwärtigen Bewußtseinsgrad der Menschen übersteigt, strahlen Metalle und Kristalle diese Vision in lichter Gestaltung aus der Mitte aus.“ So der schwäbische Dichter Arthur Maximilian Miller in seiner Beschreibung des Altarbildes für den Kirchenführer, 1967.
Besondere Merkmale und Charakterisierung durch den früheren Augsburger Diözesanbischof Dr. Josef Stimpfle
Bis heute sprechen bei Sankt Ambrosius viele Besucher*innen und Gemeindemitglieder von einer hervorragenden Akustik und einem wohltuend hellen und schlichten Raum.
Zahlreiche Chorkonzerte und Festgottesdienste unterstreichen dies. Kunstbezogene oder mit dem Flughafen Memmingerberg zusammenhängende seelsorgliche Nutzungen sind neben einer weitergehenden Funktion als Gemeindekirche ausgesprochen denkbar und historisch gesehen konsequent. Sie könnten sich zu eigen machen, dass die Kirche einen offenen, in seiner Schlichtheit breit einladenden Charakter besitzt.
„So wollen wir auftreten, wenn wir in einer Gemeinde mit einem Kirchenneubau erscheinen: nicht protzig und aufwendig, sondern schlicht und doch ansprechend. Diese Kirche soll, vor allem auch wegen der niedrigen Baukosten, richtungsweisend sein für zukünftige Kirchenbauten in der Diözese." Wort des Augsburger Diözesanbischofs Dr. Josef Stimpfle, bei der Einweihung der Sankt-Ambrosius-Kirche Memmingerberg am 27. März 1966
Stimmen zur Sankt-Ambrosius-Kirche
- Bezirksheimatpflege Schwaben:
Memmingerberg hat eine besondere Geschichte. Für diese besondere Entwicklung steht auch die Ambrosius-Kirche. Der strukturelle Wandel sorgte im Laufe des 20. Jahrhunderts dafür, dass in dem evangelisch geprägten Ort eine starke katholische Gemeinde entstand. Vor rund zwei Generationen haben die Katholikinnen und Katholiken von Memmingerberg ihre eigene Kirche errichtet, ein Projekt, das viel Einsatz, Leidenschaft und – trotz aller Sparsamkeit in der baulichen Ausführung – auch viel Geld erforderte. Hier finden nun wichtige Lebensstationen ihren öffentlichen Rahmen. Das neue Gotteshaus ist Teil der Heimat geworden. Es steht in Bezug mit der individuellen Geschichte der Menschen in Memmingerberg und es ist sichtbar prägendes und herausragendes Dokument der Ortsgeschichte. Kurz: Die Ambrosius-Kirche ist gebaute Heimat.
Das bauliche Erbe der Ambrosius-Kirche nimmt auch die Nachfahren in die Pflicht. Es ist schön zu sehen, dass sich die Menschen in Memmingerberg Gedanken über die Zukunft ihrer Kirche machen. Die Verantwortung gegenüber der Geschichte erfordert Sensibilität.
Auch wenn der Kirchenbesuch und die Bedeutung von Kirche rapide wandelt, bleibt ein sakraler Bau wie die Ambrosius-Kirche bedeutender Ausdruck der Ortsgeschichte. Seitens der Bezirksheimatpflege ist ein Erhalt der Ambrosius-Kirche in ihrer bisherigen Ausprägung anzustreben.
Bezirksheimatpfleger Christoph Lang M.A. - Erich-Schickling Stiftung, Ottobeuren-Eggisried:
Aus Sicht der Erich-Schickling-Stiftung, die das Werk des Künstlers Erich Schickling (1924 – 2012) betreut und dokumentiert, kommt der Kirche St. Ambrosius eine besondere Bedeutung zu. Erich Schickling hat Kunstwerke für über 60 Kirchen in unterschiedlichsten Techniken geschaffen. Seine Glasfenster, Altarbilder, Kreuzwegstationen, teilweise auch plastische Gestaltungen waren ihm nicht nur Aufträge, die es zu erfüllen galt, sondern Herzensanliegen, besser noch: Glaubensanliegen. Dabei hat er sich nicht theologischen oder dogmatischen Erwartungen untergeordnet, er wollte vor allem in seiner Arbeit dem Wunder der göttlichen Offenbarung auf die Spur kommen und das Staunen über die Schöpfung und das Lob ihres Schöpfers zum Ausdruck bringen. Die Schönheit und die Religion waren ihm eins.
Dennoch hat er sein Studium des Alten und Neuen Testaments bei Romano Guardini, parallel zu seinem Kunststudium (Akademie München) als tragendes Fundament seines Schaffens betrachtet.
Romano Guardini war wesentlich ein geistiger Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils, der Liturgiereform und des neuen Kirchenbaus in den 60-er-Jahren. St. Ambrosius entstand mitten in diesem Aufbruch und bezeugt ihn in vielen Details.
„Kirchen nach dem 2. Vatikanum … verkörpern den Geist des Aufbruchs, überwinden jahrhundertealte Strukturen. Noch heute wirken ihre schlichten Räume und Baumaterialien radikal. Die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil errichteten Kirchen vereinigen zeitgenössische ästhetische Vorstellungen mit bahnbrechenden theologischen Neuerungen.“ https://www.monumente-online.de/de/ausgaben/2014/6/liturgie-formt-raeume.php
Vielleicht ist die derzeitige Diskussion um St. Ambrosius der Tatsache geschuldet, dass wir diesen Aufbruch erneut zu leisten haben, heute ganz besonders. Erich Schickling jedenfalls war von der Meisterschaft des Architekten Hans Kling zutiefst überzeugt. In die schlichte Klarheit und Stimmigkeit des Raumes und seiner Proportionen hat er sich mit seinem schlanken, zugleich weit ausgreifenden Kreuz wie selbstverständlich eingefügt. Aus der Ferne hat es mit den reflektierenden Materialien Glas, Silber und Bleirouten auf dem dunklen Schiefergrund etwas geheimnisvoll Schwebendes und zugleich Zentrierendes, das erst beim Näherkommen seine starke Farbigkeit preisgibt. Für den letzten Schritt der Annäherung und Auseinandersetzung mit den heilsgeschichtlichen Darstellungen wird für heutige Besucher die Vermittlung von großer Bedeutung sein. Hierfür gibt es inzwischen neben der persönlichen Ansprache in Führungen oder Predigten die erweiterten Möglichkeiten in digitaler Form, z.B. durch einen Audioguide auf dem Smartphone.
Nicht nur das Innere des Kirchenraumes in seiner großzügigen Dimension, auch das Ambiente der Parkbäume, des Teiches mit den Bänken, der jahrhundertealte Fruchtkasten und der weite Blick nach Norden in die grünen Wiesen bilden eine wohltuende Zone der Ruhe. Hier öffnen sich dem gestressten Menschen von heute neue Zugänge für die Sinne und die Besinnung. „Spiritual Care“ ist der aktuelle Schlüsselbegriff, um Menschen an der Schwelle ihrer Lebensängste, Überbeanspruchungen und Depressionen zu begegnen. Dafür braucht es Räume wie diesen. Der Weg der Öffnung dieses heiligen Raumes durch Stille, durch Musik (z.B. Konzerte der Chöre), durch ein neues Beleuchtungskonzept, durch seelsorgerische Betreuung (z.B. durch Senior/innen), durch ganz konkrete Wegeleitung würde ein „Erlebnis Kirche“ in einen neuen Kontext bringen. Dafür sind viele Schritte zu gehen. Aber es könnte tatsächlich ein neuer spannender Aufbruch für die katholische Kirchengemeinde sein, die das geschwisterliche Zusammenspiel mit den Konfessionen und mit der weltlichen Gemeinde einschließt.
Ulrike Meyer, Vorsitzende der Erich-Schickling-Stiftung; Musikerin und langjährige Dozentin für Klavier an der Hochschule für Musik Karlsruhe
Sankt-Ambrosius-Kirche Memmingerberg - Fotos
Gefährdung
Trotz ihrer kunstvollen Einheit, ihrer vielfach geschätzten Nutzungsmöglichkeiten und ihrer epochentypischen Beispielhaftigkeit deuten aktuelle Überlegungen darauf hin, dass die Zukunft der Kirche ungewiss ist. Eigentümer des Gotteshauses ist die Pfarrkirchenstiftung Memmingerberg, die sich Sorgen um die Finanzierung einer Sanierung macht. Ein gewisser Pflegerückstand (Heizung, Portal, Mauerriss) mache auf jeden Fall eine Sanierung unumgänglich, wobei die festgestellten Schäden handhabbar seien.
In gemeinsamen Überlegungen mit der Diözese Augsburg stand im Raum, die Sankt-Ambrosius-Kirche abzureißen oder mit einem starken Eingriff (Verkleinerung, Einbau von Büros und Kleinräumen, "Dorfgemeinschafts-Haus") in die kulturell, architektur- und ortsgeschichtlich wertvolle Bausubstanz umzubauen.
Dazu berichtete die Memminger Zeitung (Thomas Schwarz) am 7. September mit Zitat von Peter Eisele (Bistum Augsburg): "Sanierung, Umnutzung oder auch Abriss - keine Option ist derzeit vom Tisch". Außerdem am 11. Oktober 2022 (Memminger Zeitung, Thomas Schwarz): "Marode Kirche darf stehen bleiben" Erste Begutachtungen durch Architekten und Bauexperten hätten ergeben, dass die vorhandenen Mängel einen Abriss nicht rechtfertigen würden. Die Diözese Augsburg möchte ferner die notwendigen statischen Maßnahmen mit Gutachten prüfen.
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