aufgepasst

Genossenschaftliche Kleinwohnanlage Fall-/Zechstraße
Zechstraße 2 - 10a u. Fallstraße 38
81369 München

Eingestellt von: Karin Nobs
Eingestellt am: 20.03.2023
Geändert am: 03.10.2023

Bayerische Denkmalliste: eingetragen
Denkmalatlas / Aktennummer: D-1-62-000-10718
Denkmal-Typ: Einzeldenkmal

Genossenschaftliche Kleinwohnanlage Fall-/Zechstraße

Genossenschaft plant, die Anlage von 1911 abzureißen

Die Kleinwohnanlage mit ehemaligem Badehaus ist ein frühes Beispiel für genossenschaftlich organisierte Linderung der Wohnungsnot vor dem ersten Weltkrieg im Sendlinger Oberfeld nahe dem ehem. Dorfkern von Mittersendling. Sie wurde 1911 erbaut und entworfen von Heilmann & Littmann im Auftrag der Bauverein „Selbsthilfe“ e.Gen.m.b.h.
Sie ist bis heute eines der wenigen gebliebenen Zeugnisse einer genossenschaftlichen Kleinwohnanlage in offener Bauweise für Arbeiter und Geringverdiener. Im Sendlinger Oberfeld ist vom einstigen Gewerbe- und Industriegebiet und den dort beschäftigten Arbeitern so gut wie nichts mehr zu sehen.

Sendling, das ursprünglich aus den eigenständigen Bauerndörfern Unter-, Mitter- und Obersendling bestand, wurde 1877 auf eigenen Wunsch eingemeindet, gut 10 Jahre nach den Gemeinden östlich der Isar. Bis zur Jahrhundertwende wandelt sich Sendling zu einem wichtigen Industrie- und Gewerbestandort, zahlreiche Arbeiter und Geringverdiener wandern zu. Bei der Planung von Wohnraum werden sie jedoch kaum berücksichtigt, München gilt um 1900 als die Stadt der Bohemiens. Die „einfachen Leute“ konnten nur in Mietskasernen unter prekären Bedingungen in geteilten, überbelegten Wohnungen unterkommen oder mussten diese „trocken wohnen“. Die Mietskasernen wurden häufig aus Renditegründen am realen Bedarf vorbeigeplant.1

F. Stracke stellt in seinem Buch „WohnOrt München“ 35 Wohnbauprojekte zwischen 1890 – 1918 vor, die meisten für besser gestellte Schichten, nur neun davon für Arbeiter und Geringverdiener. Eines davon ist die Fall-/Zechstraße. Anders als im Ruhrgebiet errichten die Unternehmer Münchens keine Wohnungen für ihre Arbeiter, einzige Ausnahme sind die längst abgerissenen Roten Häuser in Neuhausen. Aus der Not heraus bilden sich erste Baugenossenschaften, um bedarfsgerechten Wohnraum zu schaffen. Begünstigt wird die Entwicklung durch Gesetzesänderungen und günstige Darlehen von Stadt und Staat.2 So entstehen auch in Sendling kleine Selbsthilfegruppen, eine davon war der Bauverein „Selbsthilfe“, 1911 von 16 Mitgliedern gegründet, um einen Gebäudekomplex aus sechs Wohnhäusern an der Zechstraße zu erbauen. Das schmale Restgrundstück entstand durch die Verlegung der Zechstraße nach Süden.3

Der Bauverein "Selbsthilfe" blieb zunächst eigenständig und beauftragte das Baugeschäft Heilmann & Littmann GmbH mit dem Entwurf und der Ausführung der Wohnanlage. So entstanden trotz der eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten des Bauervereins sechs Wohnhäuser von erstaunlich hoher Qualität. 1911 – 1912 wurden diese in offener Bauweise entlang der Zechstraße errichtet, wobei jeweils zwei Häuser einen Wohnblock bilden.4 Im Norden grennt die Firma Schörg an, im Süden die Zigarettenfabrik G. Zuban an.

Die Bebauung folgt der kurz zuvor in Kraft getretenen Staffelbauordnung des Stadterweiterungsbüros von Theodor Fischer - laut Staffelbauplan ist für das Grundstück eine offene Bauweise mit Erdgeschoss u. 3 Stockwerken bis 20 m vorgesehen.5 Die geschickte Anordnung der drei Baukörper mit großen Seitenflügeln ermöglichte zum einen eine bessere Auslastung des schmalen Grundstücks.4 Zum anderen konnten dadurch wichtige damals entstandene Hygieneanforderung an Arbeiterwohnungen beachtet werden. Dazu gehörte unter anderem „freier Zutritt von Licht und Luft, gutes Wasser, Abfallbeseitigung und abgeschlossene Wohnungen mit eigener Toilette“.6 Die offene Bauweise ermöglicht, die 153 Kleinwohnungen besser belichten und belüften zu können. Schließlich entstehen so auch zwischen den drei Wohnblöcken Fassaden mit Fenstern und Balkonen nach Ost und West, was auch die nach Norden ausgerichtete Hofseite aufwertet. Bemerkenswert ist außerdem, dass die beiden äußeren Gebäude an den Ecken deutlich zurückspringen, wodurch ein eingefriedeter, laut Grundriss „freiwilliger Vorgarten“ zur nach Süden ausgerichteten Straße entsteht.7
Die Baukörper sind reich gegliedert und sowohl symmetrisch als auch asymmetrisch zusammengefasst. Besonders die Schauseiten zur Straße und zwischen den Blöcken erhalten abwechslungsreiche Dachformen mit Gaupen und unterschiedlich ausgeführten Zwerchgiebeln, Balkonen und Putzdekor. Sie erinnern dadurch wenig an eine reine Arbeiterkaserne.

Im Erdgeschoss werden zunächst Läden und Wirtschaften für den Eigenbedarf untergebracht. Das Zechstüberl an der Südostecke besteht bis heute, an der Südweststecke befand sich die Bäckerei Bavaria und auf der Nordwestecke eine weitere Wirtschaft mit Wirtsgarten.7

Vermutlich Anfang der 1970iger Jahre wurde die Fassade moderat verändert, die Fenster wurden zum Großteil ersetzt und die Gurtgesimse entfernt, von den Einfriedungen sind die Sockel an den Vorgärten erhalten. Geblieben sind die kleinen Fenster mit Rundbogen neben den Eingängen sowie die Eingangstüren mit ihren Oberlichtern. Trotz der Anpassungen bleibt so der äußere Gesamteindruck erhalten: Die drei Wohnblöcke mit ihren gliedernden Vor- und Rücksprüngen, den kleinen halbrunden Balkonen und die lebendige Dachform mit ihren abwechslungsreich gestalteten Giebeln zeugen auch heute noch von der hochwertigen Gestaltung, die bei vielen Gebäuden von Heilmann & Littmann zu finden ist. Die meisten davon stehen heute unter Denkmalschutz.

Auch die kompakten Grundrisse mit ein- bis drei Zimmerwohnungen wurden kaum verändert und bieten bis heute günstigen Wohnraum.

Ehemaliges Badehaus

Im Hinterhof der Kleinwohnanlage steht ein eingeschossiger Bau mit Satteldach, das ehemalige Badehaus. Es wurde wohl nur in den Anfängen als solches genutzt, seitdem wurde es mehrmals umgenutzt.
Es ist als Bestandteil der Kleinwohnanlage im Denkmalatlas eingetragen. Das Gebäude zeugt davon, dass Heilmann & Littmann bei der Planung der Anlage die damaligen Hygieneanforderungen beachteten, da es anfangs keine Bäder in den Wohnungen gab. Aber auch die späteren Umnutzungen, die sich im Laufe der Zeit nach dem jeweiligen Bedarf richteten, gehören zur Geschichte dieser Anlage.

Ein Plan von 1915 zeigt, dass die Badehausanlage in eine Wohnung und einen Milchladen umgebaut werden soll.8 Ob der Umbau tatsächlich in der Form erfolgte, ist nicht sicher. Von außen ist jedenfalls bis heute vieles erhalten, wie es in den Ansichten des Planes zu sehen ist. Auch im Inneren ist im Erdgeschoss der kleine Raum beim Eingang noch vorhanden, im Keller bestehen noch mehrere Räume, einer davon ist ein Bad, die Treppe in den Keller ist noch am gleichen Ort.

Laut einer Veröffentlichung der Genossenschaft von 1929 war in der „Baugruppe Plinganser-Zechstraße“ an Geschäftslokalitäten unter anderem ein Milchgeschäft vorgesehen. Gasteiger schreibt außerdem „Auch hier war ursprünglich eine zentrale Badegelegenheit für die Hausinwohner in einem inmitten der Hofanlage erstellten besonderen Badehause vorgesehen. Aus 3 Wannen- und 4 Brausebädern bestehend, wurde auch sie ein Opfer des Krieges.“ Der Badebetrieb in der „Baugruppe Dreimühlen-Thalkirchnerstraße“ musste wegen der Kohlen- und Brennstoffversorgung während des Krieges stillgelegt werden.9

Seit 1980 wird das Gebäude von einem Steinmetz angemietet, davor war dort eine Schreinerei untergebracht. Laut Erzählungen einiger Mieter hätten sie das Gebäude während des 2. Weltkrieges als Waschhaus genutzt. Eine ehemalige Mieterin erzählte, dass sie vor dem 2. Weltkrieg im „Badehaus“ wohnte. Laut Christine Rädlinger ließ der Verein für Volkswohnungen hier 1933 offenbar zwei kleine Wohnungen einbauen, bestehend aus jeweils einem Zimmer mit Küche und eigenem Eingang.4


  1. Ferdinand Stracke, WohnOrt München, Stadtentwicklung im 20. Jhd., Franz Schiermeier Verlag München, S. 50f
  2. Christine Rädlinger, Wohnen in der Genossenschaft, 100 Jahre Verein für Volkswohnungen e.G. München 1909 – 2009, 2009, S. 14f
  3. Stadtarchiv München, DE-1992-LBK-25632
  4. Christine Rädlinger, Wohnen in der Genossenschaft, 100 Jahre Verein für Volkswohnungen e.G. München 1909 – 2009, 2009, S. 30ff
  5. Ferdinand Stracke, WohnOrt München, Staffelbauordnung der K. Haupt- und Residenzstadt München 1904, Tafel S. 35
  6. Wilfried Koch, Baustilkunde, Sonderausgabe 1994, Orbis Verlag, S. 378
  7. Stadtarchiv München, DE-1992-GEW-WK-4551
  8. Christine Rädlinger, Wohnen in der Genossenschaft, 100 Jahre Verein für Volkswohnungen e.G. München 1909 – 2009, 2009, S. 32
  9. Stadtrat Michael Gasteiger, Der Verein für Volkswohnungen 1909/1929, 1929, S. 34f

Genossenschaftliche Kleinwohnanlage Fall-/Zechstraße - Fotos

Gefährdung

Die Genossenschaft plant, die komplette Anlage mit 152 Wohnungen 2024 abzureißen und anschließend durch einen Neubau mit Wohnungen zu ersetzen. Dieser soll 2027 bezugsfertig sein. Weitere Details im vereinseigenen Magazin 2/2022, ab Seite 10

Obwohl die Wohanlage seit Anfang März in die Denkmalliste eingetragen ist, arbeitet sie weiter an der Freimachung der Wohnungen. Außerdem zweifelt sie im neuen Magazin unter dem Titel "Plötzlich ein Baudenkmal?" die Denkmaleigenschaft vehement an. Sie wären in Klärung und Abstimmung mit den beteiligten Behörden. Sie hält offensichtlich an den Abrissplänen fest (Stand Oktober 2023). Zum Artikel "Plötzlich ein Baudenkmal?" im vereinseigenen Magazin  01/2023, Seite 10.

Rettung

Vermutlich ausgelöst durch eine Bürgeranfrage hat das Referat für Stadtplanung und Bauordnung im Dezember 2022 eine vertiefte Prüfung der Denkmaleigenschaft durch das Landesamt für Denkmalpflege veranlasst. Die Bauvoranfrage der Genossenschaft wurde von der Lokalbaukommision am 16. Mai 2023 beschieden: Laut Amtsblatt 16/2023 wurden "die gestellten Fragen teilweise positiv beantwortet. Die Gebäude sind als Baudenkmal erkannt. Fragen im Hinblick auf denkmalschutzrechtliche Anforderungen wurden nicht gestellt, diese Anforderungen sind daher in den positiven Antworten nicht berücksichtigt."

Das Landesamt für Denkmalpflege hat die Denkmaleigenschaft inzwischen erkannt, seit Anfang März 2023 ist die Wohnanlage in der Denkmalliste unter der Akten-Nr. D-1-62-000-10718 verzeichnet, das Benehmensverfahren läuft.

Auf der Sendlinger Bezirksausschusssitzung (BA) am 12. Juni 2023 wurde außerdem die Antwort der Lokalbaukommision (LBK) zur Bürgeranfrage behandelt. In dieser bestätigt die LBK, dass sie den Antrag des BA vollziehen kann: Einem Abriss der Gebäude steht deren Denkmaleigenschaft entgegen.

Jetzt bleibt zu hoffen, dass sich der „Verein für Volkswohnungen e.G.“ mit dieser Entscheidung abfindet, sich endlich an eine denkmalgerechte Instandsetzung macht und dabei seine Genossen und Mieter mit einbezieht. Laut der neuen Ausgabe des vereinseigenen Magazins 01/2023, Seite 10. zweifelt er die Denkmaleigenschaft vehement an und arbeitet weiter an der Freimachung der Wohnungen.

Wir brauchen Ihr Einverständnis

Dieser Inhalt wird von Dieser Inhalt wird von OpenStreetMap (OSMF) mit Leaflet bereit gestellt.

Weitere Details