gefährdet

Radrennbahn Reichelsdorfer Keller
Kellerstraße
90453 Nürnberg

Eingestellt von: Quartiersinitiative Reichelsdorfer Keller
Eingestellt am: 26.09.2021
Geändert am: 04.01.2023

Bayerische Denkmalliste: nicht eingetragen
Denkmal-Typ: Einzeldenkmal

Radrennbahn Reichelsdorfer Keller

Historische Sportstätte mit Charme und überregionaler Bedeutung - vom Abriss bedroht

Die Radrennbahn Reichelsdorfer Keller – gelegen im Süden Nürnbergs im gleichnamigen Ortsteil (90453 Nürnberg, Kellerstraße) – ist die älteste in Deutschland und ganz Europa noch erhaltene 400m-Beton-Rennbahn (Kurvenhöhe: 6m). Das Areal wurde vom radsportbegeisterten Brauereibesitzer Schalkhausser zu Beginn des letzten Jahrhunderts zum Bau einer Rennbahn zur Verfügung gestellt.  Ein extra zu diesem Zweck gegründeter Verein - Sportplatz Nürnberg 1903 e.V. - gab den Bau in Auftrag (übrigens lange vor dem Bau des ersten Fußballstadions in Nürnberg, das erst 1928 errichtet wurde und in Teilen heute unter Denkmalschutz steht): geplant wurde es von dem Leipziger Architekt Ludwig, gebaut von der Nürnberger Baufirma Meyer und am 21. August 1904 mit dem ersten Rennen eröffnet. 1905 fanden bereits die ersten Steherrennen statt: hinter einem Motorrad erreichten die Sprinter Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h . Wegen der großen Attraktivität der Veranstaltungen und der großen Beliebtheit – die Zuschauer strömten zu Tausenden zu den Rennen am Reichelsdorfer Keller - wurde unmittelbar nach Fertigstellung der Bahn eine Holztribüne errichtet und in den 20ger Jahren eine zusätzliche Erweiterung für Stehplätze im Innenraum vorgenommen. Bald gehörte die Bahn zu den beliebtesten Pisten Deutschlands und Renntage mit 10- bis 15.000 Zuschauern waren keine Seltenheit. Ausgetragen wurden Radrennen, auch Motorradrennen, vereinzelt auch Autorennen, hauptsächlich aber Steher-Rennen, in dieser Disziplin unzählige Bayerische und Deutsche Meisterschaften und  bis in die 1950ger Jahre auch internationale Wettkämpfe.  (siehe auch Lit 1). Die Holztribüne, die zur Erweiterung errichtet worden war, mußte in den 60-Jahren einem nationalen Leistungszentrum für Radsport weichen, Beginn einer wiederum erfolgreichen Zeit auf der Rennbahn. Trotz nachlassendem Interesse wurden auch in den 80ger-Jahren noch Steher-Rennen ausgetragen, das letzte fand 2017 statt. Das Areal wurde seither auch anderweitig, u.a. auch für Open-Air-Theater-Aufführungen genutzt.

Umfeld und Bedeutung der Rennbahn für den Reichelsdorfer Keller (Lit 3)

Die Rennbahn ist wesentlicher Teil der Identität des Reichelsdorfer Kellers und das nicht nur wegen ihrer Größe und topographischen Lage: Die vielen tausend Zuschauer, die zu  den Radrennen kamen,  trugen auch maßgeblich zum Aufschwung der Gaststätte bei. Nach dem Krieg entwickelte sich daraus das weithin bekannte Tanzlokal Reichelsdorfer Keller. Zusammen mit dem Flußbad und dem Parkcafe Rennbahn hatte der Reichelsdorfer Keller einen weithin bekannten Namen als äußerst beliebtes Ausflugsziel für Alt und Jung in Nürnberg.  

Bedeutung der Rennbahn für die Fahrradhochburg Nürnberg (Lit 4, 5, 13 )

Gegen Ende des 19. Jahrh. konnte man in Nürnberg an die führende Rolle der metallverarbeitenden Handwerker im mittelalterlichen Europa anknüpfen. Meilensteine auf dem Weg zur Fahrradhochburg Nürnberg waren 1882 eine Bronzemedaille bei der 1. Bayerischen Landesausstellung für ein in Nürnberg hergestelltes Hochrad, die Gründung von "Hercules", des ersten Unternehmens zur Herstellung von  „Niederrädern“, gefolgt von weiteren Firmen wie Victoria, Premier, Mars und zuletzt 1896 Triumph. Diese 5 großen Nürnberger Fahrradhersteller produzierten damals ca. 25% der in Deutschland  verkauften Fahrräder. Innerhalb von nur 30 Jahren hatte sich das Fahrrad vom Luxusartikel Einzelner zum Massenverkehrsmittel entwickelt; das war der Beginn des Individualverkehrs. Um die Jahrhundertwende war ein Trend zur Motorisierung zu beobachten; die Fa. Triumpf baute ab 1899 Motorräder. „Nach einem Sieg am Reichelsdorfer Keller 1905 titelte das Unternehmen: Der Kampf um die beste Marke ist endgültig entschieden. Bei den gestrigen großen Motorrad-Rennen der Deutschen Motorrad-Vereinigung am Reichelsdorfer Keller geht Triumpf von allen konkurrierenden auswärtigen und hiesigen Fabrikaten wiederum als überlegener Sieger hervor“, Ullein, 2019).

Die Radrennbahn am Reichelsdorfer Keller stellt somit auch ein für die Industrie-  und Sportgeschichte Nürnbergs relevantes Bauwerk dar.  

Bedeutung der Rennbahn am Reichelsdorfer Keller für den Radsport, Sport- und Sozialgeschichte (Lit. 1, 2, 5)

Gebaut wurde die Rennbahn 1904 in einer Zeit, in der große Sportveranstaltungen noch nicht so verbreitet waren wie heute. Das „Niederrad“ war noch nicht viel länger als 20 Jahre auf dem Markt und ermöglichte höhere Geschwindigkeiten, die Straßen (nicht asphaltiert) waren zum Radfahren nicht sehr gut geeignet: vor diesem Hintergrund entwickelten sich die Radrennbahnen.   Ausgetragen wurden Rad- und Motorradrennen, den Schwerpunkt stellten jedoch Steher-Rennen dar. In dieser Disziplin wurden zahlreiche Bayerische, Deutsche und Europa-Meisterschaften ausgetragen. Bald war die Bahn am Reichelsdorfer Keller eine der beliebtesten Pisten Deutschlands; schon 1946 gehörten die Nürnberger Radfahrer zur deutschen Spitzenklasse bei den Stehern. In den 50ger Jahren gingen die Deutschen Meister– Titel fast jedes Jahr an die Radrennfahrer aus Nürnberg (Lit. 6, 7, 8). Auch in den folgenden Jahrzehnten fuhren die Nürnberger weiter an der Spitze mit (Lit 9, 10).In den 70er – Jahren holte Horst Gnas drei Weltmeistertitel bei den Stehern (Lit 11) . Neben den Radfahrern bleibt unvergessen auch der Lokalmatador und erfolgreichste Schrittmacher aller Zeiten, Dieter Durst, mit je 9 Titeln als Weltmeister und Europameister und insgesamt 24 Siegen bei Deutschen Meisterschaften (Lit. 12). 2011 wurde das letzte Mal eine Europameisterschaft am Reichelsdorfer Keller ausgetragen.

Nach dem Krieg waren die Rennen am Reichelsdorfer Keller ein „Event“. Die Sportler reisten schon Tage vor dem Wettkampf zum Training an; am Bahnhof wurden sie von einheimischen Jugendlichen in Empfang genommen, für die es etwas Besonderes war, die Motorräder der Sportler in Empfang zu nehmen und zur Rennbahn schieben zu dürfen. Motorrad- und Radrennfahrer übernachteten privat – immer bei den gleichen Familien – und waren dort schon bekannt. Am Wettkampftag kamen üblicherweise mehr als 10.000 Besucher in Sonderzügen oder auch selbst mit dem Fahrrad. Die privaten Räder wurden für die Zeit des Rennens in den Gärten der im Lauf der Zeit dann bekannten Familien abgestellt, da der Platz direkt an der Rennbahn nicht ausreichend war. Das war eine Atmosphäre! Das Knattern der Motorräder war weithin hörbar. Der gesamte Keller hat gebrummt … um dann nach dem Rennen wieder in den beschaulichen Alltag zurückzufallen. (siehe auch Lit. 2)

Bedeutung der Rennbahn am Reichelsdorfer Keller für die Sportarchitektur und Technikgeschichte  (Lit. 15, 16 )

Mit der Entwicklung vom Hoch- zum Niederrad (das höhere Geschwindigkeiten ermöglichte und die Voraussetzung für die Entwicklung des Radsports darstellte) und vor dem Hintergrund der damals üblichen Straßenqualität (nicht asphaltiert) wurden die ersten Radrennbahnen gebaut, zunächst flach,  ab 1869 (in Paris) mit überhöhten Kurven. Die erste derartige Bahn in Deutschland wurde im Jahr 1880 in München errichtet. Zu Ende des Jahrhunderts fand man Radrennbahnen dieses Typs in jeder größeren Stadt, ab den 1890ger Jahren auch mit Zement-Oberfläche.

Die Besonderheit der Bahn am Reichelsdorfer Keller, die 1904 erbaut wurde, liegt in der kühnen Kurvenüberhöhung von 47 Grad, die die Nutzung sowohl für Radrennen als auch für Motorradrennen ermöglichte. Diese - aus bautechnischer Sicht - sehr anspruchsvolle Überhöhung war eine der steilsten ihrer Zeit und eine der ersten Motorradrennbahnen in Deutschland.  Heute ist sie die letzte erhaltene Betonbahn aus dieser Zeit in ganz Europa - vermutlich sogar weltweit.  Betrachtet man die Entwicklung von Radrennbahnen, so stellt sie den Beginn der Entwicklung von Pisten dar, die zunächst komplett auf einem Erdwall aufliegen, später teilweise auf einem Erdwall, teilweise durch Betonkonstruktion unterstützt werden (z.B. Oerlikon/Zürich) bis hin zu kompletten Betonkonstruktionen (z.B. Bielefeld).

Literatur:

1) M. Marr, Geschichte der Rennbahn „am Keller“ (2001) (http://radrennbahn-nuernberg.de/geschichte/)

2) Uli Müller, persönliche Information (2017)

3) Reichelsdorf – Mühlhof – Reichelsdorfer Keller, S. 39 – 45, Kap. „Reichelsdorfer Keller“, B. Windsheimer, Nürnberger Stadtteilbücher 1, 1. Auflage 1991 (Geschichte für alle e.V.)

4) P. Ullein, „Die Nürnberger Fahrradindustrie von den Anfängen bis zum 1. Weltkrieg“ , S. 143 – 164, Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Band 106, 2019, Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg)

5) Historisches Lexikon Bayern

6) M. Marr, Einst erfolgreichster Steher der Welt (2007) (Einst erfolgreichster Steher der Welt - Nürnberg | Nordbayern)

7) M. Marr, Karl Kittsteiner: Start in neue Radsport-Ära (2019) (Karl Kittsteiner: Start in neue  Radsport-Ära - Schwabach | Nordbayern)

8) M. Marr, Horst  Duschl - Von einem Allrounder, der auszog, das Siegen zu lernen (2008) Von einem Allrounder, der auszog, das Siegen zu lernen - Nürnberg | Nordbayern

9) M. Marr, Begeisterte Meister von einst (2011) ( Begeisterte Meister von einst -  Reichelsdorfer Keller | Nordbayern)

10) Internationales Sportarchiv Munzinger (37/1979) (  Klaus-Dieter Burges - Munzinger Biographie)

11) M. Marr, Triumphe und Schicksalschläge (2011)  ( Triumphe und Schicksalsschläge - Nürnberg | Nordbayern)

12) M. Marr, Eine Legende muß Abschied nehmen (2011) Eine Legende muss Abschied nehmen - Nürnberg | Nordbayern

13) Informationen Museum Industriekultur, Nürnberg

14) Stellungnahme zur Überprüfung der Denkmaleigenschaft der Radrennbahn Reichelsdorfer Keller, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Juni 2022

15) Ergänzende Stellungnahme des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, September 2022

Radrennbahn Reichelsdorfer Keller - Fotos

Gefährdung

Das Areal der Radrennbahn wurde vom Verein Sportplatz Nürnberg 1903 e.V. an Investoren verkauft (ca. 2016 zunächst Fa. Nürminiger, Weiterverkauf an Fa. Immosens). Die Rennbahn soll abgerissen, die Bäume gerodet und das Gelände mit Wohnblocks bebaut werden.

Über den Abriss der Bahn und den Bebauungsplan wurde im Stadtplanungsausschuss der Stadt Nürnberg am 22. 12. 2022 beraten und entschieden.  Der Beschluss des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst des Bayerischen Landtags, der die zugehörige Petition bearbeitet, steht allerdings noch aus.

Die Untere Denkmalschutzbehörde hat im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung keine Stellungnahme abgegeben und bisher keine Prüfung der Denkmalschutzwürdigkeit beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege beantragt. Beantragt wurde die Prüfung zwischenzeitlich vom o.g. Ausschuss für Wissenschaft und Kunst des Bayerischen Landtags und  vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege durchgeführt. Ergebnis:  Denkmaleigenschaft erkannt : lt. Art. 1 BayDSchG hat die Radrennbahn stadtgeschichtliche sowie sportarchitektur- und technikgeschichtliche Bedeutung.

Der Eintrag in die Denkmalliste ist aus formalen Gründen noch nicht erfolgt; sie steht aus.

 

Verlust

Trotz Denkmaleigenschaft bisher noch kein Eintrag in die Denkmalliste.
Die Mitglieder des Stadtplanungsausschusses zeigten sich in der Sitzung vom 22. 12. 22 unbeeindruckt vom Denkmalstatus und votierten für den Abriss der Bahn.

Rettung

Die Quartiersinitiative Reichelsdorfer Keller engagiert sich für den Erhalt der Rennbahn sowie des sie umgebenden Baumgürtels (durch Recherchieren von Geschichte und Geschichten, Hintergründen, in Gesprächen mit Behörden der Stadt und des Freistaats Bayern sowie mit Vertretern im Stadtrat).

Kontakt

Dr. Dorith Müller
Tel: 0151 - 56 36 29 20
dorith.mueller@web.de

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