Einwendungen des Denkmalnetzes Bayern zum Bebauungsplan "Alte Radrennbahn"
Als Träger öffentlicher Belange beziehen wir Stellung zum Bebauungsplan Nr. 4654 „Alte Radrennbahn“, Nürnberg
A) Einwendung zum Verfahren
Das Denkmalnetz Bayern (DNB) als Träger öffentlicher Belange wurde nicht auf den veröffentlichten Bebauungsplan Radrennbahn aufmerksam gemacht und nicht zur Stellungnahme aufgefordert. Die gesetzlich vorgeschriebene Bearbeitungsfrist wurde somit nicht eingehalten.
B) Inhaltliche Einwendungen
Die Radrennbahn am Reichelsdorfer Keller gilt als Baudenkmal nach Art 1 Abs 1 BayDSchG und muss erhalten werden.
Weiterhin ist der LEP Bayern einzuhalten, in dem es unter Pt. 8.4.1 heißt: „Die heimischen Bau- und Kulturdenkmäler sollen in ihrer historischen und regionalen Vielfalt geschützt und erhalten werden. Historische Innenstädte und Ortskerne sollen unter Wahrung ihrer denkmalwürdigen oder ortsbildprägenden Baukultur erhalten, erneuert und weiterentwickelt werden.“
Ebenso ist der Regionalplan Region Nürnberg (derzeit aktuelle Version vom 1.7.1988) zu befolgen, in dem es unter Pt. 8.4.3.1 heißt „Allgemeine Sportanlagen. In allen Gemeinden der Region soll auf eine bessere Versorgung mit allgemeinen Sportanlagen hingewirkt werden“. In der Begründung zu 8.4 heißt es darüber hinaus „Es ist beabsichtigt, in einer umfassenden Darstellung die „Industriekultur“ von den Anfängen der Industrialisierung bis heute systematisch zu erfassen. Weiter wird es das Ziel des Projektes sein, die Bedeutung des damaligen Nürnbergs aufzuzeigen und die Monumente und Dokumente der industriellen Epoche als kulturgeschichtliche Zeugnisse bis in die Gegenwart herein zu erhalten und zu aktivieren.“
Die Denkmaleigenschaft der Radrennbahn am Reichelsdorfer Keller wurde vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) festgestellt. Als älteste 400m-Betonbahn Europas – vermutlich sogar weltweit – ist ihre Einzigartigkeit unbestritten. Die lokale, regionale, überregionale und internationale Bedeutung des Denkmals ergibt sich aus den folgenden Begründungen:
1) Bedeutung für das lokale Umfeld, den Reichelsdorfer Keller (heute Ortsteil von Nürnberg)
Die Radrennbahn wurde im Jahre 1904 auf einem Grundstück erbaut, das zu diesem Zweck von den Brüdern Schalkhausser – Eigentümer der benachbarten Schankwirtschaft und Bierkeller – zur Verfügung gestellt worden war, nachdem Pläne zur Realisierung einer Radrennbahn im Stadtgebiet gescheitert waren. Die Bahn am Reichelsdorfer Keller entwickelte sich schnell zu einem beliebten Treffpunkt für den Radsport und dessen Anhänger. Die Zuschauer (zehn- bis fünfzehntausend) kamen mit dem Fahrrad oder mit einem der zahlreichen Sonderzüge, die für jedes Rennen eingesetzt wurden. Sie trugen nicht nur zum Umsatz in der Schalkhausser´schen Schankwirtschaft bei, sondern auch zum Aufschwung des Familienflussbades und des Parkcafés Rennbahn (bis in die 1990er Jahre ein beliebtes und deutschlandweit bekanntes Varieté-Theater). So war die Rennbahn Motor für die Entwicklung des Ortes Reichelsdorfer Keller zum beliebten Ausflugsort vor den Toren Nürnbergs. Noch heute ist sie ortsbildprägend und identitätsstiftend.
2) Bedeutung für die Fahrrad- und Zweiradhochburg Nürnberg
In Nürnberg war bereits 1886 die erste Fahrradfabrik gegründet worden; die Stadt entwickelte sich schnell zu einer der europäischen Metropolen der Fahrradherstellung. Die großen Firmen Hercules, Victoria, Mars, Triumph, Pioneer und 70 kleinere Unternehmen produzierten ca. ein Drittel aller Fahrräder auf dem deutschen Markt. Die Fahrradproduktion gehörte zu den größten Branchen der Region und war ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Die Radrennbahn am Reichelsdorfer Keller wurde als Teststrecke sehr geschätzt.
Das Fahrrad, dessen Herstellungskosten durch die industrielle Fertigung gesenkt werden konnten, entwickelte sich schnell vom Luxusartikel zum Massenverkehrsmittel, das sich auch die Arbeiter in der Industriestadt Nürnberg leisten konnten. Bereits um die Jahrhundertwende gab es in der Stadt Nürnberg 60 Radfahr- und Radsportvereine. Sowohl der Radsport als auch das gesellschaftliche Radfahren hatten viele Anhänger. Der Bau der Rennbahn am Reichelsdorfer Keller war daher sehr willkommen.
Durch die Ausführung in Beton und die extreme Steilheit der Kurven waren hohe Geschwindigkeiten möglich, die sportlich an die Grenzen führten und für die Zuschauer höchst attraktiv waren.
Bereits ab 1904 – und somit sehr früh in der Motorradgeschichte Deutschlands – wurden auch Motorradrennen am Reichelsdorfer Keller abgehalten. Bekannt blieb die Rennbahn jahrzehntelang insbesondere für die Steher-Rennen.
3) Bedeutung für den Sport und die Architekturgeschichte
Die Rennbahn zählt zu den ältesten Sportplätzen in Nürnberg und gehört zu den ältesten erhaltenen Sporteinrichtungen Bayerns. Die Steilkurven in Beton stellten zu Beginn des 20. Jh. eine Meisterleistung der Ingenieursbaukunst dar. Die Überhöhung in den Kurven von 47 Grad bzw. mehr als 6 m, die Länge von 400 m, die Breite von 6 – 8 m und die Oberflächenausführung in Beton qualifizierte die Bahn zum Zeitpunkt ihres Baus als sog. Bundesbahn, die alle Anforderungen an große Radrennen erfüllte. Sie war für Höchstgeschwindigkeiten bis zu 120 kmh. ausgelegt und auch für Motorradrennen geeignet – eine damals neue Sportart. Für den lokalen Radsportverein RC Herpersdorf boten sich einzigartige Trainingsmöglichkeiten und jahrzehntelange Spitzenplätze im deutschen Radsport. So war der Lokalmatador Dieter Durst der erfolgreichste Schrittmacher aller Zeiten: 25x Deutscher Meister, 8x Europameister, 9-facher Weltmeister.
Dem Handbuch für Architektur von 1904 ist zu entnehmen, dass sich die Radrennbahnen aus den Reitbahnen entwickelten: zunächst waren sie flach, bevor die Kurven leicht und später massiv erhöht wurden. Die überhöhten Kurven wurden zunächst auf aufgeschütteten oder vorhandenen Erdwällen errichtet, wie die heute denkmalgeschützte Radrennbahn Reichelsdorfer Keller. Später wurden die Kurvenkonstruktionen teilweise durch Beton unterstützt wie z.B. Oerlikon/Zürich oder die Bahnen komplett in Beton errichtet wie z.B. Bielefeld.
4) Bedeutung für die Industriegeschichte
Die Fahrradindustrie in Nürnberg profitierte von der Radrennbahn. Die Bahn dokumentiert die Entwicklung des Fahrrads von einem ausgefeilten mechanischen Einzel- zu einem Massenprodukt, das sowohl Sportgerät wurde als auch wichtiges Fortbewegungsmittel in Zeiten der beginnenden Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz.
Ende des 19. Jh. wurden die meisten Fahrradfabriken für die Massenproduktion in Aktiengesellschaften umgewandelt. Damit einher gingen Werbung und attraktive Veranstaltungen. Für die Attraktivität sorgten hohe Geschwindigkeiten, die durch die extrem steilen Kurven ermöglicht wurden.
1985 fand in Nürnberg die Ausstellung „Leben und Arbeiten im Industriezeitalter“ im Germanischen Nationalmuseum statt, die die herausragende Stellung Nürnbergs als die bedeutendste Industriestadt Bayerns in der zweiten Hälfte des 19. Jh. herausstellte. Bei den Ausstellungsvorbereitungen ist auch die Idee zur Einrichtung des damals innovativen Museums für Industriekultur entstanden. In diesem Zusammenhang wäre der Erhalt der Rennbahn eine große Bereicherung für das Verständnis der Industriegeschichte Nürnbergs.
Aus Sicht des DNB sind diese Aspekte bei einer Veränderung oder Beseitigung nach Art. 6 Abs. 1 S.1 BayDSchG zu berücksichtigen.
C) Nutzungsmöglichkeit und Sanierungskosten
Die Behauptung, die Bahn würde sich nicht für eine dauerhafte Nutzung durch den Radsport eignen, ist unbegründet und es ist auch keine Begründung beigefügt. Die Radrennbahn erfüllt bis heute die Voraussetzungen für die Austragung von Wettbewerben im Radrennsport.
Der Bebauungsplan schließt eine sportliche Nutzung aus, ohne auf den Bedarf der umliegenden Radsportvereine einzugehen. Eine Bedarfsanalyse liegt nicht vor.
Weiterhin werden keine alternativen Nutzungen genannt, Hinweise auf die Prüfung von alternativen Nutzungsmöglichkeiten fehlen ebenso wie grundsätzliche Möglichkeiten zu Erhalt und Nutzung der Bahn.
Der Sanierungsaufwand wird mit „hoch“ bezeichnet, ist jedoch nicht näher beziffert. Daraus lässt sich nicht automatisch eine „Unzumutbarkeit“ für den Eigentümer ableiten.
D) Fazit:
Das Denkmalnetz Bayern fordert den kompletten Erhalt der Radrennbahn und spricht sich gegen einen Teilerhalt des Baudenkmals aus. Das europaweit einzigartige Denkmal würde zerstört werden und die Nutzung als Rennbahn – die den langfristigen Erhalt am besten sichern würde – wäre ausgeschlossen. Dies widerspricht Art.5 DSchG Satz 1. Der Bebauungsplan lässt nicht erkennen, dass eine gleiche oder gleichwertige Nutzungsmöglichkeit untersucht oder angestrebt wurde. Deshalb wird nach Meinung des DNB auch nach Art. 5 DSchG Satz 2 verstoßen.
Der Erhalt eines Teilstücks der Bahn ist aus Sicht des DNB nicht geeignet, das Baudenkmal zu würdigen, da mit Abriss der Steilkurven wesentliche Denkmaleigenschaften vernichtet und der Verlust von mehr als 90% der Bahn die Größe der Anlage nicht mehr erfahrbar macht.
Die Denkmaleigenschaft ist zweifellos festgestellt. Deshalb hat der Bebauungsplan Rücksicht auf das Baudenkmal zu nehmen.
Die Argumentation der Stadt Nürnberg, dass die Denkmaleigenschaft zu spät erkannt wurde und die Planungen bereits zu fortgeschritten, verfängt nicht. Beim vereinfachten Bebauungsplanverfahren hat die Stadt selbst zu klären und zu erkennen, ob es sich um ein Denkmal handelt. Andernfalls darf sie dieses Verfahren nicht anwenden.
Als Träger öffentlicher Belange fordern wir deshalb die Einstellung des Bebauungsplanverfahrens.
Dr. Birgit Angerer, Elke Wendrich
Sprecherinnen Denkmalnetz Bayern
Literatur:
- Eintrag Homepage Denkmalnetz Bayern: Radrennbahn Reichelsdorfer Keller | DenkmalnetzBayern
- Schönere Heimat, 112. Jahrgang, 2023, Heft1, S 45–48: Die Radrennbahn ReichelsdorferKeller: ein Denkmal – einzigartig und unverstanden?
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Kommentar von Grau, Franz |
Hallo, was soll der Eintrag im "Tag des offenen Denkmals"?
Es ist zu spät! Die Bahn ist nur noch ein Schutthaufen (bin gestern, 5.9. vorbeigefahren)!
Viele Grüße
Franz Grau
Kommentar von Wolfgang Janeck |
Nur noch bis 20.1. will sich der Investor zurückhalten nachdem anwaltlich vorgegangen wurde. Dann folgt der Garaus der bereits "angeknabberten" Legende (Siehe Presse). Ein Beschluß das Areal nur für sportliche Zwecke zu nutzen wird korrupterweise ignoriert.
Kommentar von Wolfgang Janeck |
Vielen Dank für die Einwendungen.
Was hat die Königstadtverwaltung darauf bisher geantwortet außer Security und Bauzaun ohne Bautafel ?
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