Rollschuhplatte, Baracken und die Nachkriegszeit
„Die "Rollschuhplatte" ist ein unscheinbarer Ort, ein kleiner Fleck Beton auf dem Rasen zwischen den Wohnhäusern der Siedlung. Und doch kann sie als Chiffre für das kollektive Gedächtnis gesehen werden.“ schreibt die Süddeutsche Zeitung über die Siedlung Ludwigsfeld [1]. Die „Rollschuhplatte“ ist das Fundament der Baracke 5 des ehemaligen KZ-AußenlagerAllachs in München, das partiell nach dem Krieg als Flüchtlingslager genutzt wurde. Kürzlich wurde sie als Baudenkmal unter Schutz gestellt (D-1-62-000-8070 im Denkmalatlas).
Anstelle der Baracken wurde in den 1950er Jahren mit Mitteln des Bundeshaushalts die Siedlung Ludwigsfeld gebaut [2]. Nur die "Rollschuhplatte", die während des Baus der Siedlung 1952 als Fundament einer Baubaracke diente, und die ehemalige Sanitärbaracke, die heute der lokalen Sportverein als Umkleide nutzt, sind übrig geblieben. An der Rückseite dieser Baracke ist eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Opfer des früheren KZ-Außenlagers angebracht. Weshalb die Rollschuhplatte in einem ansonst völlig umgestalteten Baugebiet erhalten blieb, ist nicht bekannt. Vor knapp 20 Jahren wurde diese Wohnsiedlung an einen Investor verkauft. Eine geplante Nachverdichtung wird die aus der unmittelbaren Nachkriegszeit stammende Struktur der Siedlung wohl unkenntlich machen [3].
Die Siedlung Ludwigsfeld steht paradigmatisch für den Umgang mit den Baracken, die in großer Zahl während des Dritten Reichs für die verschiedensten Zwecke errichtet wurden. Erst umgenutzt, meist als Notwohnungen oder für gewerbliche Zwecke, dann abgerissen und oft überbaut [4].
Kürzlich meldete die Süddeutsche Zeitung, dass die Stadt München 27 Mio. € für die Sanierung eines fast vollständig erhaltenen Zwangsarbeiterlagers in Neuaubing und die Errichtung der Gedenkstätte dort bereitstellt (E-1-62-000-79 im Denkmalatlas) [5]. Die Baracken des Lagers blieben bis heute erhalten, da deren Nutzung als Künstlerkolonie nachhaltig war und wegen der eher versteckten Lage nicht einer Neubebauung weichen mussten.
Es ist gut, dass hier an die Vergangenheit angemessen erinnert wird. Dabei darf aber nicht verschwiegen werden, dass dieses Ergebnis die Folge langer kontroverser Diskussionen war. Erst 2001 wurde beschlossen, in der ehemaligen Hauptstadt der Bewegung ein NS-Dokumentationszentrum zu errichten, zu dem inzwischen auch der Gedenkort Neuaubing gehört.
Das Lager Neuaubing blieb als einziges von den über 400 Zwangsarbeiterlagern in München als Gedenkstätte erhalten [6]. Das Zwangsarbeiterlager an der Münchner Fürstenrieder Straße für Flüchtlinge umgenutzt und euphemistisch „Flüchtlingsheim“ genannt. In einer Baracke dieses „Heims“ gab es eine Art Kulturzentrum mit Marionettenaufführungen und Kinder-Ballettkursen [4]. Die Baracken sind längst abgerissen, heute befindet sich an dieser Stelle Wohnbebauung und ein Parkplatz. Im nahegelegenen Forstenried ist über ein ehemaliges Lager des Reichsarbeitsdienstes längst Wald gewachsen [7]. Von den weiteren Zwangsarbeiterlagern in München ist teilweise nicht einmal mehr der genaue Standort bekannt.
Auf dem Gebiet des Deutschen Reiches gab es etwa 44.000 Barackenlager, davon über 30.000 für die ca. 13.5 Mio. Zwangsarbeiter, für den Reichsarbeitsdienst, für Heereszwecke etc. [8]. Die KZ-Häftlingsbaracken in Dachau und Flossenbürg, bis in die 1960er Jahre von Familien bewohnt, sind verschwunden. In Dachau entstanden später Rekonstruktionen einiger Häftlingsbaracken für die Gedenkstätte, in Flossenbürg an deren Stelle Einfamilienhäuser.
Was ist mit all diesen Orten geschehen? Die Denkmalliste in Bayern zählt gerade 18 derartige Objekte auf [9]. Nun, Baracken sind temporäre Bauten mit begrenzter Nutzungsdauer und die Menschen waren sicher froh, ihnen entkommen zu sein. Sie wurden nach Nutzungsende einfach abgeräumt, überbaut oder Gras darüber wachsen gelassen. Es war einfach Zeitgeist, mit einem „Rama Dama“ wie in München, in die neue Zeit des Wirtschaftswunders aufzubrechen und die Vergangenheit „zurückzulassen“.
Während nach langen Diskussionen die Erinnerungskultur an die Zeiten des Dritten Reiches unumstritten ist, gilt das für die unmittelbare Nachkriegskultur noch lange nicht. Dabei wäre es genauso wichtig, sich an diese Zeit des Verdrängens und Vergessens ebenfalls zu erinnern. Wir haben nur noch wenige Baracken und nicht mehr viel Zeitzeugen, die die Wiederaufbauzeit nach dem Krieg bewusst erlebt haben. Eine Erinnerung an das bauliche Erbe und die Aufzeichnung der Erinnerungen der Zeitzeugen auch aus den 1950er Jahren ist deshalb wichtig und wird immer wichtiger.
Es ist deshalb unverständlich, wenn eine Stadtverwaltung wie in Moosburg die noch vorhandenen Baracken der Stalag (D-1-78-143-141 im Denkmalatlas) zugunsten eines Sportplatzes trotz Denkmalschutz abreißen möchte [10]. Hier würden die Vorarbeiten des Vereins Stalag Moosburg e.V. die Eröffnung einer Dokumentationsstätte einfach möglich machen. Amberg möchte ebenfalls denkmalgeschützte Behelfsbauten des Reichsheeres (D-3-61-000-430 im Denkmalatlas), immerhin solide mit zwei Stockwerken gebaut, zwar nicht abreißen, aber an einen anderen Ort translozieren und als Lager nutzen [11]. Damit würde der örtliche Zusammenhang mit der unmittelbaren Umgebung und der dort ebenfalls in einer Baracke untergebrachten Notkirche (D-3-61-000-431 im Denkmalatlas) verschwinden, der die Nachkriegsgeschichte sicht- und damit interpretier- und verstehbar macht. Auch in Amberg gibt es ein Angebot für Nutzung der Baracken an Ort und Stelle.
Wir appellieren nachdrücklich aktuell an die Stadtverwaltungen in Amberg und Moosburg, die gebotene Achtsamkeit im Umgang mit diesen Denkmälern zu wahren. Wir appellieren auch an die anderen Verwaltungen, eine wichtige Aufgabe der Zeitgeschichte wahrzunehmen und deren fragile Reste dieser Zeit als Gedenkorte für die Zukunft zu bewahren.
HE
- Jerzy Sobotta, Buchrezension "Ludwigsfeld" - Die gespenstische Alltäglichkeit der Betonplatte, SZ, 7.4.2020 (https://sz.de/1.4867229)
- Ewgenij Repnikov, Vom Ort der Verzweiflung zur Stätte der Hoffnung. Die Wohnsiedlung München-Ludwigsfeld als neue Heimat, Schönere Heimat 4(2020), S. 259-270
- Ulrike Steinbacher, Münchner Nordwesten: Die Stadt kommt nach Ludwigsfeld, SZ, 7. Juli 2022, (https://sz.de/1.5616236)
- Martin Renghart, Flüchtlingslager, publiziert am 08.07.2019 (aktualisierte Version 28.08.2019); in: Historisches Lexikon Bayerns, https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Flüchtlingslager (abgerufen am 6. Januar 2023)
- Ellen Draxel, Wie aus Baracken ein Gedenkort werden soll, SZ 13.12.2022, https://sz.de/1.5714539 (abgerufen am 6. Januar 2023)
Die Baracke, in der die Gedenkstätte entstehen soll wurde als einzige nicht von Zwangsarbeitern bewohnt (priv. Mitteilung E. Repnikov) - Hadas Tapouchi, MEMORY IN PRACTICE, NS-Dokumentationszentrum München, https://departure-neuaubing.nsdoku.de/projekte/memory-practice (abgerufen am 6. Januar 2023)
- Jürgen Wolfram, Das vergessene Arbeitslager, SZ 22.9.2022, https://sz.de/1.5660461 (abgerufen am 6. Januar 2023)
- Jan Pallokat, Entschädigung für NS-Zwangsarbeit - Späte Einsicht, wenig Geld, Deutschlandfunk, 22.3.2020 (https://www.deutschlandfunk.de/entschaedigung-fuer-ns-zwangsarbeit-spaete-einsicht-wenig-100.html)
- Isabella Hödl-Notter, Sportplatz vs. Erinnerungsort, MUH 47(2022), S. 16
- Armin Forster, Dirk Walter, Schwieriger Umgang mit der Vergangenheit: Lager-Baracken aus NS-Zeit droht der Abriss, Münchner Merkur, 18.5.2022 https://www.merkur.de/lokales/freising/moosburg-ort29088/lager-baracken-aus-ns-zeit-droht-der-abriss-91554437.html (abgerufen am 6. Januar 2023)
- Denkmalgeschützte Baracke könnte innerhalb Ambergs umziehen, Oberpfalz TV Nord GmbH & Co. Studiobetriebs KG, 2022, https://www.otv.de/mediathek/video/denkmalgeschuetzte-baracke-koennte-innerhalb-ambergs-umziehen/ (abgerufen am 6. Januar 2023)
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Kommentar von Tina Naumovic |
Herzlichen Dank für diese Berichterstattung und den deutlichen Aufruf an die Stadt Moosburg! Wir vom Stalag Moosburg e.V. werden nicht locker lassen und uns weiterhin für den Erhalt aller Baracken einsetzen.
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